"Das Lieferkettengesetz verhindert viele Menschenrechtsverletzungen nicht"


Carsten Montag ist im Vorstand des Verbands Entwicklungspolitik und Nothilfe (VENRO). Foto: Privat

Mit der im Jahr 2015 verabschiedeten Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft unter dem Dach der Vereinten Nationen zu 17 globalen Zielen für eine bessere Zukunft verpflichtet. Welchen Beitrag können VENRO und der Internationale Bund aus Ihrer Sicht leisten, um die Umsetzung der Agenda 2030 in Deutschland und international zu unterstützen?

Die Umsetzung der Agenda 2030 stand und steht im Fokus der Arbeit von VENRO und seinen Mitgliedsorganisationen. Bereits jetzt ist abzusehen, dass zentrale Ziele, wie die Beendigung von Armut und Hunger, mit den bisherigen staatlichen Zusagen bis 2030 nichterreicht werden. Die Corona-Pandemie hat globale Ungerechtigkeiten verschärft und neue geschaffen. Während hierzulande große Rettungspakete geschnürt werden, hat sich in vielen Ländern eine schon bestehende Schuldenkrise verschärft. Durch schwache Gesundheitssysteme und eine fehlende soziale Absicherung ist die Pandemie für die Menschen im Globalen Süden eine ungleich größere Katastrophe.

Gemeinsam mit ihren Partnerorganisationen im Globalen Süden engagieren sich unsere Mitglieder wie der IB auf vielfältige Weise für eine nachhaltige und inklusive Entwicklung. In der Corona-Krise sind wir an der Seite der Menschen vor Ort und leisten unter erschwerten Bedingungen wichtige Hilfe. Mit der Arbeit unterstützen wir im Besonderen die schwächsten und verletzlichsten Menschen und setzen uns für eine politische Teilhabe und Mitbestimmung ein. Das Agenda-2030-Prinzip „Niemanden zurücklassen“ motiviert und leitet uns zugleich.

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht dabei die Entwicklungszusammenarbeit?

Globale Solidarität und entschlossene internationale Zusammenarbeit sind von entscheidender Bedeutung, um Armut weltweit zu bekämpfen und die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu verwirklichen. Die Corona-Pandemie zeigt eindrücklich, dass sich globale Krisen nicht einzelstaatlich bewältigen lassen – etwa bei der gerechten Verteilung von Impfstoff en. Ob globale Gesundheit, Klimaschutz oder fairer Handel, es braucht globale Kooperation und internationale Kraftanstrengungen, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Dafür braucht es weltweit eine freie und starke Zivilgesellschaft. Nur dann gelingt es, gemeinsam mit den Regierungen eine Politik zu machen, die ein Leben in Würde für alle Menschen ermöglicht.

Sehen Sie für die Zukunft dabei eine stärkere Rolle der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und auch in der Gewichtung des Bundeshaushalts?

Nichtregierungsorganisationen (NRO) setzen sich gegen Ungleichheiten und für Demokratie, Menschenrechte und Frieden ein – auch in Ländern, in denen zivilgesellschaftliche Handlungsräume eingeschränkt werden oder aus denen sich die staatliche Entwicklungszusammenarbeit zurückgezogen hat. Als VENRO fordern wir daher mehr Mittel für die Arbeit zivilgesellschaftlicher Kräfte. Im OECD-weiten Durchschnitt werden 15 Prozent der ODA-Mittel (Official Development Assistance) von und mit NRO umgesetzt. Dies ist in Deutschland noch nicht der Fall. Um Handlungsspielräume für NRO in der Krise, aber auch darüber hinaus zu erweitern, brauchen wir zudem angepasste und flexiblere Förderbedingungen.

Der IB ist auch in Ländern aktiv, deren Regierungen nicht unsere demokratischen und freiheitlichen Normen und Werte teilen. Dabei ist das Ziel des Engagements, unsere Werte zu transportieren und die Menschen zu unterstützen, die unter den dortigen Regimen leiden. Wie stehen Sie zu diesem Zwiespalt und welche Empfehlungen haben Sie für den IB damit umzugehen?

In weniger demokratisch geführten Ländern können zivilgesellschaftliche Kräfte ein Gegenpol sein. Mit ihrer Expertise und nicht zuletzt ihrer Wachsamkeit können sie einen wichtigen Beitrag für den Zusammenhalt einer Gesellschaft leisten. Mit großer Sorge beobachten wir, dass in antidemokratischen Regimen die Arbeit unserer Mitgliedsorganisationen und besonders der Partner eingeschränkt und behindert wird. Gewalt und Schikanen gegen Aktivisten*Aktivistinnen und Menschenrechtsverteidiger*innen nehmen zu.

Als VENRO haben wir im letzten Jahr eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um gerade zu dieser Problematik den Austausch unter den Mitgliedern zu fördern. Es ist dringend erforderlich, dass zivilgesellschaftliche Handlungsräume wieder ausgebaut und gemeinsam wirkungsvolle Gegenstrategien erarbeitet werden. Aber auch die Bundesregierung und der Bundestag sind gefordert, sich für die Einhaltung von Menschenrechten weltweit einzusetzen.

Ausbeuterische Kinderarbeit oder Hungerlöhne ohne soziale Absicherung: In globalen Lieferketten kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Die Opfer haben häufig keinen Zugang zu Rechtsmitteln oder Anspruch auf Wiedergutmachung. Unternehmen, die weltweit agieren, tragen Verantwortung für die Menschen in Zulieferbetrieben. Welchen Beitrag kann die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung von menschenrechtskonformen Lieferketten leisten?

Dass die Bundesregierung Anfang März ein Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht hat, ist ein erster wichtiger Schritt, der ohne den beharrlichen Druck der Zivilgesellschaft nicht erreicht worden wäre. Deutsche Unternehmen werden künftig zur Beachtung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette verpflichtet.

Leider wurde die Reichweite des Gesetzes zugunsten der Unternehmen so sehr zurechtgestutzt, dass viele Verletzungen der Menschenrechte – wie beispielsweise fehlender Schutz der Arbeiter*innen in der Textilindustrie – kaum durch das neue Gesetz verhindert werden können. Hier braucht es deutliche Nachbesserungen unter Einbeziehung aller Beteiligten: der Staaten und Regierungen, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und insbesondere der Betroffenen selbst.


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