„Kein Mensch ohne Behinderung würde für 1,35 Euro pro Stunde arbeiten“


Fotos: pexels.com / Vlada Karpovich, Pierre Steinhauer

Laura Mench ist freie Autorin, Bloggerin und Texterin für verschiedenste Themen rund um Inklusion und darüber hinaus. Auf ihrem Blog “Projekt Leben” dreht sich alles rund um das Leben mit Behinderung, um Aufklärung, Information und Inklusion. Sie arbeitet im Projekt Leidmedien.de, einem Projekt aus Medienschaffenden mit und ohne Behinderung, in dem auch Raul Krauthausen aktiv ist. 

Als Aktivistin für die Rechte von Menschen mit Behinderung möchten wir Sie im Rahmen unserer Themenwoche zur Bundestagswahl fragen, wie Inklusion aussehen muss. Auf ihrer Homepage beschreiben Sie, dass Sie ein Beispiel für bestens gelungene Inklusion sind. Wie haben Sie dies erreicht?

Grundsätzlich würde ich nicht sagen, dass ich in jeder Minute meines Lebens in bestens gelungener Inklusion lebe. Meine Webseite, die unter anderem meine Freiberuflichkeit präsentiert, führt aber natürlich dazu, dass ich auf beruflicher Ebene Inklusion leben kann. Wenn ein Unternehmen oder eine Organisation Kontakt aufnimmt, weil sie möchten, dass ich für sie schreibe, etwas moderiere oder ein Inklusions-Coaching mache, dann kommt das schon sehr an vollständige Inklusion heran, weil ich immer davon ausgehe, gleichwertig wie andere freiberufliche Kräfte gebucht oder nicht gebucht zu werden.

Warum gelingt Inklusion bei vielen Menschen mit Behinderung nicht oder nicht zufriedenstellend und was muss ich aus Ihrer Sicht bundesweit ändern, damit dies gelingt?

Inklusion gelingt aktuell häufig deshalb nicht zufriedenstellend, weil viele verschiedene Faktoren zusammenkommen müssen, damit Inklusion überhaupt gelingen kann. Hierzu zählen zum Beispiel bauliche Komponenten an Gebäuden oder die Gewährung von Unterstützungsleistungen wie persönliche Assistenz, wenn sie benötigt werden, und natürlich auch das Mindset, dass Menschen mit Behinderung zugetraut wird, gleichwertig am Arbeitsleben oder in der Gesellschaft teilnehmen zu können. Ungeachtet dessen, ob es jetzt Unterschiede in der Leistungsfähigkeit gibt, zum Beispiel zu Menschen ohne Behinderung. Das kann sich natürlich auf den Arbeitsmarkt auswirken.

Aber auch auf die Teilnahme an Veranstaltungen, an Workshops, generell, ob man mal ins Kino geht oder ob ich jetzt bei einem Ausflugsziel frage, ob ich da mit dem Rollstuhl ran komme und man mir sagt: „Nee, die Böden sind nicht befestigt, da können Sie niemals mit dem Rollstuhl fahren“. Wo meine Frage ja eigentlich nur darauf abgezielt hat, ob ich eine Treppe überwinden muss oder nicht. Welcher Bodenbelag, das entscheide ich dann ja selbst, wo ich fahren kann. Und an solchen Sachen scheitert es dann oft.

Wie sieht aus Ihrer Sicht eine inklusive Gesellschaft aus?

Es ist sehr schwierig, eine vollständig inklusive Gesellschaft in der Fantasie zu zaubern, wenn wir noch nie eine wirkliche inklusive Gesellschaft erlebt haben. Sprich: Inklusion kann eigentlich nur dann gelingen, wenn es keine Begrifflichkeit mehr dafür gibt. Also quasi dann, wenn das Wort Inklusion da nicht mehr existiert, weil wir es nicht mehr brauchen.

Meine persönliche Vorstellung von einer inklusiven Gesellschaft versuche ich mal am Beispiel der Arbeitsmarktsituation darzustellen. Aktuell ist es ja so, dass viele Menschen mit Behinderungen arbeitssuchend sind oder in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen arbeiten. Aber auf dem ersten Arbeitsmarkt treffen wir leider nur sehr wenige Personen mit Behinderung. In einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung ist es ja so, dass der monatliche Lohn „Taschengeld“ genannt wird und im Durchschnitt genau 1,35 Euro in der Stunde beträgt - was am Ende des Monates zirka 200 Euro bedeutet. Kein Mensch ohne Behinderung würde für 1,35 Euro in der Stunde arbeiten gehen. Eigentlich ist es für Menschen mit Behinderung benachteiligend, dass sie dort deutlich unter Mindestlohn arbeiten.

Aus meiner Sicht sind die Arbeiten, die in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gemacht werden, oftmals nennen die Unternehmen es „ausgelagert werden“, nicht an die Örtlichkeit der Werkstatt gebunden, weil etwa besondere Maschinen gebraucht würden oder so. Oft ist es zum Beispiel so, dass dort Dinge verpackt werden oder sortiert werden und so weiter. Das heißt aber, dass diese Aufgaben genauso gut auch in dem Betrieb gemacht werden können, der sie auslagert. Das heißt, dieser Betrieb hätte durchaus die Möglichkeit, die Menschen mit Behinderungen, die sie durch die Auslagerung in die Werkstatt quasi beschäftigen oder in Anspruch nehmen, dass sie die auch einfach bei sich direkt anstellen können, um die Aufgaben dort zu verrichten. Da würden dann sogar noch Fahrzeiten und Umweltemissionen wegfallen, weil ja dann alles vor Ort gefertigt würde und nicht wegen der Verpackung noch in eine Werkstatt transportiert werden würde. Davor scheuen sich viele Unternehmen. Sie möchten lieber Greenwashing betreiben, damit sie halt irgendwas, irgendeinen Teil ihrer Produktion in der Werkstatt machen und sie fühlen sich damit mega-toll und inklusiv und am Ende machen sie eigentlich genau das, was wir nicht wollen, nämlich die Exklusion.

Aber wenn man die Unternehmen damit konfrontiert, hat man oft den Fall, dass die sich das gar nicht zutrauen. Sie wissen nicht, dass es Unterstützungsmaßnahmen wie das Budget für Arbeit gibt, womit Personen mit Behinderungen, die von einem Betrieb eingestellt werden, sehr gut Inklusion im Betrieb leben können. Nur wenn Betriebe sich darauf einlassen und darüber informiert sind und werden, dann können wir zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt inklusiv leben. Das erstreckt sich dann natürlich auch auf die gesamte inklusive Gesellschaft und über die gesamten Bereiche unseres alltäglichen Lebens.


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