"Internationale Begegnungen – nicht nur für die junge Bildungselite!"


Andreas Thimmel, Professor an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der TH Köln, erklärt die Bedeutung der internationalen Jugendarbeit. Foto: privat

Europa und die Welt für junge Menschen erlebbar machen – wie geht das? Zum Beispiel mit internationalen Freiwilligendiensten und internationaler Jugendarbeit. Sie prägen die jungen Menschen ihr Leben lang. Die Erfahrungen stärken auch den demokratischen Gedanken, fördern Toleranz, Solidarität und Teilhabe. Und sie sind wichtige Zutaten für gesell­schaftlichen Zusammenhalt. Andreas Thimmel, Professor an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der TH Köln, erklärt im Interview die Bedeutung der internationalen Jugendarbeit und des Austausches – und warum die Angebote des IB so besonders sind. 

Wie erfahren junge Menschen „Internationalität“?

Meist beginnt eine internationale Erfahrung mit einer Auslandsreise in Gruppen, dann kommen internationale Jugendbegegnungen oder der Schüler*innenaustausch dazu, vielleicht nach dem Abitur der Einsatz in einem Freiwilligendienst, vielleicht in einem Land im globalen Süden.  Man muss sich diese Austauschformate als aufeinander aufbauend denken. Und der IB ist einer der Akteure, bei dem diese Formate nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sich ergänzen.

Tatsächlich ist der Langzeit-Schüleraustausch, den man fast immer mit internationaler Begegnung assoziiert, nur ein kleiner Teil eines „Mobilitätspuzzles“. Alle Formate haben ihre Berechtigung und sind je nach Alter und Interessen bedeutsam. 

Warum sind solche Auslandsformate für unsere Gesellschaft wichtig?

Gerade im Bereich der Jugendarbeit, außerhalb der Schule, wo Soziales und Politisches nah bei einander liegen, können Jugendliche und junge Erwachsene sich erproben. Werden die Erfahrungen, begleitet von pädagogisch gut ausgebildetem Personal, gemeinsam reflektiert, ist hier sehr viel Lernen, insbesondere internationales Lernen, möglich. Es ist zwar noch nicht sehr gut erforscht, aber es liegt auf der Hand, dass diese Erfahrungen, verbunden mit eigenem Engagement, mit Reisen, mit freier Zeit, dazu führen, dass sich der eigene Horizont erweitert, dass dies zu einer Perspektivübernahme führt. Das heißt, eine Person erkennt, dass es zusätzlich zu ihrer eigenen „deutschen“ Perspektive auf die Welt auch noch andere gibt, die eines Jugendlichen aus Tansania oder Polen. Deutschland wird wahrgenommen als Teil einer demokratischen Weltgesellschaft. Damit dieses non-formale Bildungspotenzial der internationalen Austauschformate ausgeschöpft wird, brauchen wir freie Träger wie den IB, die breit und klug aufgestellt sind und die z.B. ihre weiteren Angebote im Inlandsbereich mit diesen Programmen verknüpfen können.

Was macht den IB anderes als andere Anbieter?

Was den IB mit seinen internationalen Angeboten so besonders macht, ist, dass er als ein Träger der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit auch nicht-privilegierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen Zugang zu diesem wichtigen Lernfeld der Internationalität eröffnet. Der IB schafft Zugänge für Jugendliche in den Jugendzentren und der Jugendsozialarbeit, denen sonst der Zugang zur Internationalität – unabhängig von Migration – eher versperrt ist. Damit entstehen in der Arbeit des IB wertvolle Brücken, Angebote der politischen Bildung und dabei geht es im Kern immer um eine Auseinandersetzung der Jugendlichen mit der Welt.  Ich bin auch deshalb ein leidenschaftlicher Anhänger von internationalen Austauschprogrammen, weil sie ein tieferes Nachdenken über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Menschen, über Politik und Weltgesellschaft möglich machen.

[Die Angebote des IB in diesem Bereich, unter anderem Internationale Freiwilligendienste und Internationaler Austausch, sind hier zu finden.]

Geschieht das automatisch?

Nein, sondern das gelingt vor allem dann, wenn die jungen Menschen von pädagogischen Fachkräften und Teamern angeleitet, begleitet und niedrigschwellig angespornt werden, diese interkulturelle Dimension wahrzunehmen und darüber zu reflektieren.  

Was macht es schwierig, internationalen Begegnungen für junge Menschen zu organisieren? Sind die Kosten zu hoch?

Es gibt mehrere Gründe, warum zu wenig Aktivitäten organisiert werden.  Zum einen brauchen Sie als freier Träger in Deutschland verlässliche Partnerorganisationen und Strukturen in dem Land, mit dem sie Austausch organisieren wollen. Diese Voraussetzung ist nicht in jedem Land vorhanden, bzw. muss mühsam aufgebaut werden. Sie brauchen ausreichende finanzielle Mittel, um den hohen organisatorischen Aufwand für diese Begegnungen zu stemmen. Finanziert werden zwar die laufenden Kosten, zumeist aber nicht die Vor- und Nachbereitung sowie die langfristig angelegte Partnerschaftspflege. Grundsätzlich dominieren organisatorische Themen vor der Ermöglichung von internationalen Bildungsmomenten. Viel Zeit und Energie geht mittlerweile für diesen bürokratischen Aufwand drauf. Deshalb gibt es auch nur recht wenige Träger, die solch ein Angebot machen. Leider wirkt dieser hohe Aufwand als starke Bremse und führt dazu, dass das pädagogische Potential dieser Begegnungen nicht ausreichend gesehen und gewürdigt wird. Schließlich trauen die Eltern, Lehrer*innen, Ausbilder*innen oft den Jugendlichen gar nicht zu, dass sie sowohl das Interesse als auch die Kompetenz für eine solche internationale Bildungserfahrung haben. 

Was müsste sich ändern, damit es einfacher wird?

Die internationalen Jugendfreiwilligendienste und die internationale Jugendarbeit, die Jugendbegegnungen ermöglichen und freiwillige Arbeit im Ausland organisieren, müssen vom Staat stärker finanziell gefördert werden. Die finanzielle Förderung muss aber bei der lokalen und sozialräumlichen Infrastruktur der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit beginnen und darf nicht nur über Projektfinanzierung abgewickelt werden. Ihr Nutzen ist evident: Internationale Jugendarbeit erweitert den Horizont von jungen Menschen und fördert Demokratie und Toleranz. Damit hat internationaler Austausch in seiner Vielzahl an Formaten einen großen gesellschaftlichen Mehrwert. Fallen solche Jugendbegegnungen weg, weil sie für die Träger – IB und andere – nicht kostendeckend sind, entfällt auch der Nutzen für die Gesellschaft. Mit anderen Worten: Wir brauchen mehr Geld vom Bund und die bessere Verzahnung mit der Infrastruktur der non-formalen Bildung auf kommunaler und Landesebene. Für eine strukturelle Förderung von Internationalität für junge Menschen, aber auch für die Forschung, um noch besser nachweisen zu können, wie diese Begegnungen wirken und welchen Einfluss sie auf die Einstellungen von jungen Menschen zu Themen wie Demokratie, gesellschaftlichem Zusammenleben und Toleranz haben können.

Wie sollte diese Förderung konkret aussehen?

Damit Gelder des Bundes sinnvoll eingesetzt werden, brauchen wir in jeder Kommune ein bis zwei Personen, die ausfinanziert sind und nicht über Projekte gefördert oder bezahlt werden, um an Programmgelder zu kommen. D.h. wir brauchen eine stabile kommunale Infrastruktur, die bereitsteht und unabhängig von kurzfristigen Förderprogrammen finanziert wird. Im Klartext: Das Verhältnis von institutioneller zu Projektförderung muss sich wieder in Richtung institutionelle Förderung verschieben. Zwar hat Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ein recht gut aufgestelltes System, was internationale Begegnungen angeht. Aber das System blockiert sich selbst, weil es stark auf Säulen basiert und die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Zudem gehört ein enorm hoher Verwaltungsaufwand dazu, solche internationalen Begegnungen und Bildungserlebnisse möglich zu machen. Letztlich ist dies der Kern der Misere einer subsidiär organisierten Struktur. Der IB ist einer der wenigen, die sich eine hauptamtliche Person „leistet“, um Töpfe und Förderprogramme ausfindig zu machen und im Sinne der jungen Menschen Aktivitäten zu planen und durchzuführen. Davon brauchen wir mehr.


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